Der Dame ist er nun Tröster in der Abschiedssituation
und Vermittler des göttlichen Lohnes; er erfleht nicht länger
ihre Huld und Gnade, sondern fordert Treue und Sittsamkeit.
Seinen Standesgenossen, die psychisch noch nicht zur
Kreuznahme bereit sind, ist er Mahner und Berater zugleich.
Aus dem Bereich seiner eigenen Erfahrungen zeigt er ihnen,
dass jeder, der sich zur Kreuzfahrt entschließt, einen inneren Konflikt
überwinden muss.
Wie dieser Konflikt überwunden werden kann, wird
in den Kreuzzugsliedern auf dialektische Weise überzeugend dargelegt.
In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage nach
der kommunikativen Funktion der Kreuzzugslieder als Medium sozialer Interaktion.
In der Literaturgeschichtsschreibung und in den einschlägigen
"Versuchen einer Interpretation" gilt der Dichter in der Regel als "Schöpfer
seines Werkes", d.h. die Dichtung wird mit der Person ihres Autors identifiziert
und erst in zweiter Linie nach ihrer sozialen Funktion befragt.
Versteht man den Dichter jedoch primär als "homme
social" und nicht als inspiriertes Individuum, dann interessiert in erster
Linie der gesellschaftlich - repräsentative Aspekt und erst sekundär
die Dichterindividualität.
In den minnesängerlichen Kreuzzugsliedern bilden
das Ich des Dichters und die Gesellschaft in der Regel eine Einheit, auch
dann, wenn der Dichter nicht einfach als eines ihrer Glieder auftritt,
sondern ihr gegenübersteht.
Stets richtet der Dichter seinen Appell an ein kollektives
Standesbewusstsein, das des Ritters nämlich, und hofft, Resonanz zu
finden.
Die Kreuzzugslyrik ist also mit dem sozialen Niveau (social
standards) ihres Publikums rückgekoppelt und besitzt, aufbauend auf
der Kooperation von Dichter und Gesellschaft, koordinierende Funktion für
die Gruppe, was in dem lehrhaften Anspruch der Lieder deutlich wird.
Andererseits ist der Dichter in seiner Aussage gesellschaftlich
limitiert, da seine Lieder nur insoweit eine Bedeutung erlangen, als sie
ein Publikum finden und rezipiert werden .
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