Die schönsten deutschen Heimatsagen 

Die Jungfrau auf der Lorelei

In den alten Zeiten ließ sich manchmal auf der Lorelei um die Abenddämmerung und beim Mondschein eine Jungfrau sehen. 
Sie sang mit so lieblicher Stimme, daß alle davon bezaubert wurden, die es hörten. Viele, die vorüberfuhren, wurden an dem Felsenriff im Strom in die Tiefe gerissen, weil sie auf ihr Fahrzeug nicht mehr achteten. Niemand hatte die Jungfrau aus der Nähe gesehen. als einige junge Fischer. 
Zu ihnen gesellte sie sich bisweilen im letzten Abendrot und zeigte ihnen die Stellen, wo sie ihre Netze auswerfen sollten. Jedesmal, wenn sie dem Rat der Jungfrau folgten, taten sie einen reichlichen Fang. Die Jünglinge erzählten, was ihnen begegnet war, und die Geschichte verbreitete sich bald im ganzen Lande.

Der Sohn des Pfalzgrafen, der damals in der Nähe sein Hoflager hatte, hörte auch die wundervolle Mär; es gelüstete ihn, die Jung-frau zu schauen. Er tat, als ob er auf die Jagd gehen wollte, nahm den Weg nach Oberwesel; setzte sich dort in einen Nachen und ließ sich stromabwärts fahren.
Die Sonne war eben untergegangen, und die ersten Sterne traten am Himmel hervor, da näherte sich das Fahrzeug der Lorelei. "Seht ihr sie dort, die verwünschte Zauberin?" riefen die Schiffer. Der Jüngling hatte sie aber schon erblickt. Sie saß am Abhang des Felsens, nicht weit vom Strome, und band einen Kranz um ihre goldenen Locken. Jetzt vernahm er auch den Klang ihrer Stimme und war bald seiner Sinne nicht mehr mächtig. Er befahl den Schiffern, am Felsen anzufahren. Aber als er ans Land springen wollte, nahm er den Sprung zu kurz und versank im Strom; die Wogen schlugen schauerlich über ihm zusammen.
Die Nachricht kam schnell zu den Ohren des Pfalzgrafen. Voll Schmerz und Zorn befahl er seinen Knechten, ihm die Unholdin tot oder lebendig zu bringen. Einer seiner Hauptleute versprach, den Willen des Pfalzgrafen zu vollziehen. Doch bat er sich aus, daß er die Hexe gleich in den Rhein stürzen dürfe, damit sie sich nicht vielleicht durch Zauberkünste wieder aus Kerker und Banden befreie. Der Pfalzgraf war es zufrieden.
Nun zog der Hauptmann gegen Abend aus und umstellte mit seinen Reisigen den Berg. Er selbst nahm drei der beherztester: Männer aus seiner Schar und stieg die Lorelei hinan. Die Jungfrau saß oben auf der Spitze und hielt eine Schnur von Bernstein in der Hand. Sie sah die Männer kommen und rief ihnen zu, was sie hier suchten. "Dich, Zauberin", antwortete der Hauptmann, "und ich befehle dir, dich sofort in die Fluten hinabzustürzen!" - "Ei", sagte die Jungfrau lachend, "der Rhein mag mich holen!"
Bei diesen Worten warf sie die Bernsteinschnur in den Strom hinab und sang mit schauerlichem Ton:
    "Vater, Vater, geschwind, geschwind, 
     die weißen Rosse schick deinem Kind, 
     es will reiten mit Wogen und Wind!"

Urplötzlich brauste der Strom daher. Der Rhein rauschte, daß weitum Ufer und Höhen mit weißem Gischt bedeckt waren. Zwei Wellen, die fast die Gestalt von zwei weißen Rossen hatten, stiegen mit Blitzesschnelle zur Kuppe des Felsens empor und trugen die Jungfrau hinab in den Strom, wo sie verschwand.

Alois Schreiber
 
 
 
 
 

Loreley

Clemens Brentano

Zu Bacharach am Rheine 
wohnt eine Zauberin, 
die war so schön und feine 
und riß viel Herzen hin. 

Und machte viel zu Schanden 
der Männer rings umher, 
aus ihren Liebesbanden 
war keine Rettung mehr. 

Der Bischof ließ sie laden 
vor geistliche Gewalt 
und mußte sie begnaden, 
so schön war ihre Gestalt. 

Er sprach zu ihr gerühret:
"Du arme Loreley! 
Wer hat dich denn verführet 
zu böser Zauberei?" 

"Herr Bischof, laßt mich sterben 
ich bin des Lebens müd, 
weil jeder muß verderben, 
der meine Augen sieht!

Die Augen sind zwei Flammen, 
mein Arm ein Zauberstab - 
O legt mich in die Flammen, 
O brechet mir den Stab!" 

Ich kann dich nicht verdammen; 
bis du mir erst bekennt, 
warum in diesen Flammen 
mein eignes  Herz schon brennt!" 

Den Stab kann ich nicht brechen 
du schöne Loreley! 
Ich müßte denn zerbrechen 
mein eigen  Herz entzwei! 

"Herr Bischof, mit mir Armen 
treibt nicht so bösen Spott, 
und bittet um Erbarmen 
für mich den lieben Gott! 

Ich darf nicht länger leben, 
ich liebe keinen mehr, -
den Tod sollt Ihr mir geben, 
drum kam ich zu Euch her! 

Mein Schatz hat mich betrogen, 
hat sich von mir gewandt, 
ist fort von hier gezogen,
fort in ein fremdes Land. 

Die Augen sanft und wilde, 
die Wangen rot und weiß, 
die Worte still und milde, 
die sind mein Zauberkreis. 

Ich selbst muß drin verderben, 
das Herz tut mir so weh, 
vor Schmerzen möcht' ich sterben, 
wenn ich mein Bildnis seh´. 

Drum laßt mein Recht mich finden, 
mich sterben wie ein Christ. 
Denn alles muß verschwinden, 
weil er nicht bei mir ist." 

Drei Ritter läßt er holen: 
"Bringt sie ins Kloster hin! 
Geh, Lore! Gott befohlen 
sei dein berückter Sinn. 

Du sollst ein Nönnchen werden, 
ein Nönnchen schwarz und weiß. 
Bereite dich auf Erden 
zu deines Todes Reis´!" 

Zum Kloster sie nun ritten, 
die Ritter alle drei, 
und traurig in der Mitten 
die schöne Loreley. 

"O Ritter, laßt mich gehen 
auf diesen Felsen groß, 
Ich will noch einmal sehen 
nach meines Liebsten Schloß. 

Ich will noch einmal sehen 
wohl in den tiefen Rhein. 
Und dann ins Kloster gehen 
und Gottes Jungfrau sein." 

Der Felsen ist so jähe, 
so steil ist seine Wand, 
doch klimmt sie in die Höhe, 
bis daß sie oben stand. 

Es binden die drei Ritter 
die Rosse unten an, 
und klettern immer weiter 
zum Felsen auch hinan. 

Die Jungfrau sprach : 
"Da wehet ein Segel auf dem Rhein, 
der in dem Schifflein stehet, 
der soll mein Liebster sein!

Mein Herz wird mir so munter, 
er muß mein Liebster sein!" 
Da lehnt sie sich hinunter 
und stürzet in den Rhein. 

Die Ritter mußten sterben, 
sie konnten nicht hinab. 
Sie mußten all verderben 
ohn' Priester und ohn' Grab!

Wer hat dies Lied gesungen? 
Ein Schiffer auf dem Rhein, 
und immer hat,s geklungen 
von dem Dreiritterstein: 

   Loreley! 
   Loreley! 
   Loreley! 
Als wären es meiner drei. 
 
 
 

Die Lorelei

Heinrich Heine

Ich weiß nicht was soll es bedeuten,
Daß ich so traurig bin;
Ein Märchen aus alten Zeiten,
Das kommt mir nicht aus dem Sinn. 

Die Luft ist kühl und es dunkelt,
Und ruhig fließt der Rhein;
Der Gipfel des Berges funkelt
Im Abendsonnenschein. 

Die schönste Jungfrau sitzet
Dort oben wunderbar;
Ihr goldnes Geschmeide blitzet,
Sie kämmt ihr goldenes Haar. 

Sie kämmt es mit goldenem Kamme
Und singt ein Lied dabei;
Das hat eine wundersame,
Gewaltige Melodei. 

Den Schiffer im kleinen Schiffe
Ergreift es mit wildem Weh;
Er schaut nicht die Felsenriffe,
Er schaut nur hinauf in die Höh´. 

Ich glaube, die Wellen verschlingen
Am Ende Schiffer und Kahn;
Und das hat mit ihrem Singen
Die Lore-Ley getan.