Die germanische Dichtung  (bis Mitte 8. Jahrhundert)
 
a) Allgemeines

Der Begriff "Germanen" wurde im 1. Jh. v. Chr. von römischen Dichtern eingeführt.
Es ist ein Sammelname für Völker und Stämme, die der  indogermanischen Sprachfamilie  angehörten  und ursprünglich in Nord- und  Mitteleuropa lebten.
Man unterscheidet:
Nordgermanen (Skandinavien und Dänemark);
Westgermanen (zwischen Rhein, Elbe und Donau);
Ostgermanen (im Oder- und Weichselgebiet).
In zeitgenössischen Schriften werden die Germanen als blond- oder rothaarig, blauäugig und hochgewachsen geschildert.
In den ersten Jahrhunderten n. Chr. bildeten sich die historisch bedeutsamen Stämme heraus:
u. a. die Goten, Lagobarden, Sachsen, Franken, Alemannen, Markomannen.


b) Historischer Hintergrund

Auflösung der römischen Universalherrschaft. 
Gegen Ende des 4. Jahrhunderts Beginn der Völkerwanderung. 
476 Ende des Weströmischen Reiches. 
493-526 Theoderich der Große (in der Sage Dietrich von Bern genannt). 
Das Erbe des römischen "Weltreiches wird von den Franken übernommen. 
481-911: das Frankenreich unter den Merowingern und Karolingern. 
Einigung aller Franken durch Chlodwig, der sich nach dem Siege über die Alemannen mit 3000 fränkischen Adligen taufen lässt.


c) Kulturelle Voraussetzungen
Die germanische Bauern- und Kriegerkultur beruht auf den Lebensformen der Sippe und Gefolgschaft; ihre Leitwerte sind Treue, Ehre, Tapferkeit, Rache. 
Ein wertvolles Zeugnis für das frühe Germanentum ist die »Germania« des Römers Tacitus (98 n. Chr.). 
Im Zuge der Völkerwanderung geraten die Germanen immer stärker unter den Einfluss der antiken und christlichen Kultur. 
An die Stelle der Runenschrift treten die aus dem griechischen und römischen Alphabet entwickelten Schriftzeichen.
In einem Jahrhunderte dauernden Prozess werden die germanischen Anschauungen von dem eindringenden Christentum umgeformt. 
Die Kirche erhält und fördert die Kenntnis der lateinischen Sprache, der Sprache des katholischen Gottesdienstes. 
Der erste Missionar in Germanien ist der Ire Columbanus. 
Der Angelsachse Bonifatius organisiert die Kirche im fränkischen Raum. 
Die Klöster werden dem Benediktiner-Orden unterstellt. 
Das Wissen von Gott und der Seele hat Aurelius Augustinus (354-430) in seinen beiden Hauptwerken zusammengefasst, den »Konfessionen« und den 21 Büchern vom »Gottesstaat« (De civitate Dei), in denen er den Staat dieser Welt, der der Verdammnis verfällt, dem Reich Gottes gegenüberstellt, dem Staat der himmlischen Herrlichkeit. 
Augustin bestimmt die Richtung des neuen abendländischen Geschichtsdenkens.


d) Kunst
Sprüche und Gesänge wurden mündlich vorgetragen und von Mund zu Mund weitergegeben
Große Dokumente fehlen. 
Was mit Runenzeichen auf Holz oder Stein geschrieben wurde, ist zum größten Teil verloren.
Nur kleine Dinge sind uns erhalten: Schmuckgegenstände, vom Goldschmied verfertigt, Spangen, Nadeln, Fibeln, Schilde mit Zellenmosaik, Flechtornamente auf Bändern, auf denen sich Tiergestalten befinden. 
Zahlreiche Symbole deuten auf Kampf und Heldentum. 
Der Klarheit antiken Geistes steht die drängende Natur des Germanischen gegenüber.


e) Dichtung
Der mythologische Hintergrund der germanischen Götterwelt ist in den Liedern der Edda erkennbar. 
Die Völuspa, das große Lehrgedicht der Edda, erzählt von dem Schicksal der Welt und ihren Göttern. 
Die Spruchweisheit der Edda enthält germanische Lebenserfahrung. 
Die Heldenlieder, Ereignislieder balladenartigen Charakters, berichten von Abenteuern und Heldentaten, in denen sich die heroische Gesinnung in schwerer Entscheidungsnot bewährt. 
Das schönste Beispiel auf deutschem Boden ist das Hildebrandslied. 
Spuren des germanischen Götterglaubens finden sich in den Merseburger Zaubersprüchen. 
Das erste germanische Denkmal des Christentums ist die Bibelübersetzung des Westgotenbischofs Ulfilas.

Die germanische Dichtung zeichnet sich durch den Stabreim aus, welcher die ersten Silben hervorhebt und so sehr im Einklang mit der germanischen Sprache arbeitet.
In der germanischen Dichtung gab es an sich drei verschiedenen Reimformen:

Der Stabreim ist die wichtigste Reimform in der germanischen Dichtung. 
Diese Reimform zeichnet sich dadurch aus, dass die Betonung stets auf der ersten Silbe des Hauptworts liegt, wodurch der Anlaut am wichtigsten wird. 
Konsonantische Stabreime können nur aus den gleichen Konsonanten gebildet werden. 

Der Binnenreim besteht bei einer Folge von gleichen Lauten.

Der Endreim ist aufgrund seines nicht germanischen Ursprungs und aufgrund der Tatsache, dass die Betonung dort eher auf der zweiten bzw. dritten Silbe liegt, im Germanischen eher unwichtig.

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